Das ist eine Geschichte für den Wettbewerb bei Silent Words zum Lied 'Let Her Go'.

Ich tu mich mit solchen Geschichten meistens ein bisschen schwer und neige dazu, alles wieder über den Haufen zu werfen, aber irgendwie muss ich ja mal fertig werden. Das Lied hat mir grad nicht sehr viel Wahl gelassen, es wurde ein bisschen deprimiert... Ich sollte mehr fröhliche Bücher lesen und fröhliche Dinge schreiben.

Und grinsen. Mit Zahnspange. :D

 

*edit* 1. August 2013

Die Geschichte erreichte 9/10 Punkten und hatte damit in dieser Runde die höchste Bewertung. Bei meinem ersten Wettbewerb, ich könnte durchs Zimmer tanzen! :)

Vorwort: Mir ist bei dem Lied immer aufgefallen, wie unpersönlich es ist. Dass er nicht von seinen eigenen Fehlern singt, sondern irgendeine andere Person anprangert, die irgendein Mädchen irgendwie zu spät schätzen gelernt hat und nicht wusste, was er an seinem Leben hatte, bis es an ihm vorbeigerauscht ist und er nur noch die glückliche Erinnerung an seine Erfolge hat, die ihm davor gar nicht wie Erfolge vorkamen.

Wer ist also »You«?

Das hier ist das Cover von Nicole Cross, ich ertrag die Stimme von Passenger nicht.^^

Everything you touch all it dies.

But you only need the light when it's burning low,

Only know you've been high when you're feeling low.

And you let it go. It – Yourself.



»Erzähl mir von deinem Leben«, bat er mit ruhiger Stimme.

 

Ich zögerte, doch als ich endgültig realisierte, dass der Zauber des Moments vorbei und meine Chance vertan war, ließ ich mich auf die breite Mauer fallen und ließ die Beine in die Tiefe baumeln. Unter mir floss das dunkle Wasser leise dahin.

Er stellte sich neben mich und stützte die Ellenbogen auf die Brüstung, wobei er einen respektvollen Abstand einhielt.

»Denkst du, dass du diese Geschichte wirklich wissen willst? Sie klingt nicht sehr glaubwürdig. Eher, als hätte ich einen schlechten Psycho gelesen.« Guter Scherz. Hatte fast vergessen, dass mein Leben ja nichts Anderes war.

Er schüttelte den Kopf und wartete. Ich hauchte in meine kalten Hände und klemmte sie zwischen die Knie, bis ich mit leiser Stimme zu erzählen begann:

»Du wurdest noch nie gemobbt. So siehst du nicht aus.« Er regte sich nicht. »Ich schon. Mir ist nie ein wirklicher Grund dafür in den Sinn gekommen, aber in ihrer Sichtweise habe ich alles falsch gemacht. Das ist es!« Ich hätte am liebsten auf die Mauer geklatscht, ließ es aber bleiben. »Es wäre mir egal gewesen, wenn sie mich fett genannt oder mir Spitznamen zugerufen hätten, aber sie haben mir einfach nur bei jeder Gelegenheit gesagt, was ich verbockt habe!« Meine Finger krampften sich um mein Knie und ich konnte jeden einzelnen Knochen fühlen.

Er sagte nichts, aber ich spürte seinen fragenden Blick auf meinen hohlen Wangen brennen. »Was denkst du? Das mit dem Fettsein?« Er nickte. Irgendwie tat mir diese Wortlosigkeit gut. Er hörte mir zu und niemand anderem, schenkte mir Aufmerksamkeit. »Ich war auch fett. Oder normal. Ich weiß es nicht. Nur, dass ich irgendwann Schwankungen hatte. Verstehst du es, wenn man unbeliebt ist und denkt, wenn man hübsch ist würde sich alles ändern?« Seine Augen bejahten meine Frage, aber ich redete ohnehin in raschem Tempo weiter. »Ich habe es wirklich geglaubt und habe versucht, abzunehmen. Ich habe es auch geschafft. Sport bis zum Umfallen, Abführmittel, hungern, kotzen, Kalorien von jedem verdammten Stückchen Käse zählen…« Ich fröstelte, als ein Windstoß über uns hinwegfegte und an meinen Haaren riss. »Das hat sie nur mehr angestachelt. Es hat mich irgendwie… zerrissen, weißt du? Die Frage, ob ich schlank war oder ein Knochengestell. Aber ich habe mich nie so gesehen, wie ich sein wollte.«

Ich brach ab und sagte eine ganze Weile nichts mehr. Eigentlich müsste es sich so anfühlen, als würde sich ein Dorn in meine Privatsphäre bohren, aber ich fühlte seltsamerweise nichts dergleichen. Als würde meine Qual für einen Moment über seine Schultern in die Fluten zu meinen Füßen rollen.

Er sagte nichts und ich spürte, dass er wusste, dass es noch nicht zu Ende war.

»Das war dann der 08/15-Teil«, meinte ich mit einem bitteren Lächeln. »Wobei, sie verlieben sich in den Filmen doch auch immer, oder? In einen großen starken Mann, der ihnen aus ihrem schwarzen Loch raushilft? Ich hätte die Chance dazu gehabt. Wirklich! Das komische Mädchen, dass sich in den Pausen in einer Ecke verkriecht und Bücher liest oder mit den Freaks redet, die Schauspieler anbeten uns massenweise Fanfiction schreiben.« Ich biss mir auf die Lippe und kostete den kaltheißen Schauer aus, der durch meinen Körper rieselte.

»Es ist nichts passiert«, beantwortete ich seinen stummen Blick. »Und es war mein Fehler. Ich hätte an mich glauben müssen, und daran, dass das nicht ein dummer Scherz war um mich bloß zu stellen. Ich hab ihn abgewiesen und…« Meine Stimme brach ab und ich räusperte mich, um meine aufgewühlten Gefühle im Zaum zu halten. Sie brachen trotzdem aus.

»Ich hab erst danach gemerkt, wie viel er mir bedeutet. In dem Moment ist mir klar geworden, dass die anderen recht hatten. Es ist wirklich alles mein Fehler! Es ist meine Schuld, dass mein Leben den Bach runtergegangen ist, meine falschen Entscheidungen, mein Traumleben in einer ausgedachten Welt, das die richtige verdrängt hat!« Ich spürte, dass der Zorn in mir aufwallte und wie meine Wangen rot wurden.

»Ich bin nach der vierten Stunde gegangen und durch die Stadt geirrt, bis ich an die große Brücke kam. Ich hatte manchmal über den Tod philosophiert, aber nicht ernsthaft darüber nachgedacht, mir wirklich das Leben zu nehmen. Es klang so schwachsinnig. Aber wenn man nicht bei sich ist, die Welt um einen verschwimmt und nur noch aus so weiter Ferne die Sinne berührt… Dann ist es möglich.« Ich holte tief Luft. Nur noch das, dieses Letzte.

»Ich bin auf den Rand geklettert und habe darüber nachgedacht, wie es ist, zu fliegen. Sich federleicht zu fühlen, für einen Moment – oh, wie depressiv das klingt, wenn man es ausspricht. Man kann es nicht sagen, nur fühlen, fühlen, wie man von einem Sog angezogen wird, der Idee, zu springen und auszuprobieren, was passiert. Nicht, um einfach zu sterben, aus purer Neugier.« Ich hätte beinahe ein irres Kichern ausgestoßen, schluckte es aber herunter.

»Der Sog ist so verlockend… Ich wollte wirklich wissen, was passiert, aber dann ertönte diese Stimme, so fremd, aber…« Ich hielt inne.

»Erzähl mir von deinem Leben. Das habe ich gehört.«

 

Er blickte zu mir auf und ein schmales Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ich kann nicht über das urteilen, was ich nicht gesehen habe«, sagte er leise, wie ein Hauch, ein Wispern, das vom Wind zu mir herüber getragen wurde. »Aber was du eben getan hast – hier zu bleiben, im Leben – das war der Weg, den du gehen musst. Die richtige Entscheidung.«

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Kommentare: 3
  • #1

    sarah-kreative-feder (Samstag, 10 August 2013 12:19)

    Richtig richtig gut geschrieben! *-*

  • #2

    Träumerin (Donnerstag, 27 Februar 2014 15:25)

    Einfach toll und spannend! Übrigens finde ich die Stimme auch irgendwie nervend. Aber irgendwann habe ich mich daran gewöhnt

  • #3

    hellokittys (Freitag, 25 April 2014 17:17)

    du schreibst wirklich soso toll ! (: