Bei Schreibwettbewerben hier auf Jimdo findet man oft die Aufgabe: Schreibe eine Kurzgeschichte zu einem Lied!

 

Mein Problem dabei ist, dass die Inspiration nicht bei jedem Lied auf mich zugehoppst kommt. Manche sind schön, ja, aber nicht einzigartig. Meistens ist es dann doch »nur« Liebe, glücklich oder fröhlich, kein Thema, das einen denken lässt: Das ist doch mal was Anderes!

 

Aber es kommt vor, und dann ist das diese Phase, in der ich die ganze Zeit das Lied höre und singe, bis ich den Text auswendig kann, ihn übersetze... Ich übersetze die Lyrics hier übrigens alle selbst ins Deutsche, von einer andere Seite stibitzen kann ja jeder. Und auch wenn man den Text eigentlich versteht, ihr glaubt nicht, wie viel besser das funktioniert, wenn man noch mal selbst zum Wörterbuch greift.

 

Hier war es Gabrielle Aplin, die im Übrigen eine Menge tolle Texte schreibt. Ich werde sie und meine Lieblingslieder demnächst bestimmt mal vorstellen.

 

Human

 

Obwohl ich dieses Wort eigentlich nicht ausstehen kann.

Menschlich. Was ist schon menschlich?

Jemanden lieben?

Regenwälder abholzen?

Geschichten schreiben?

Eine Waffe in die Hand nehmen?

Show me that you're human, you won't break!


Zeig mir, dass du menschlich bist, du wirst nicht zerbrechen.

 

Wie ein Dieb im Licht, du kannst dich nicht verstecken,

du kannst dich nicht vor deinem Schatten verstecken,

er ist das Einzige, was du besitzt.

Und du musst nicht vorgeben,

dass die Perfektion dein Freund ist,

denn wir alle sind zerbrochen, wir alle sind am Ende allein.

 

Zeig mir, dass du menschlich bist, du wirst nicht zerbrechen.

Liebe deine Makel und lebe für deine Fehler.

Oberflächliche Schönheit nutzt sich ab,

komm näher und zeig mir die Kratzer auf deiner Haut,

zeig mir, dass du menschlich bist.

 

Du bist ein Funken ohne Flamme,

Ich bin eine Wüste im Regen,

du bist ein Berg und ich bin ein Trittstein.

Also lauf von deinem Stolz davon,

Er ist ein verkleideter Dämon,

und er wird dir nicht dabei helfen, die steigenden Gezeiten zu besänftigen.

 

Zeig mir, dass du menschlich bist, du wirst nicht zerbrechen.

Liebe deine Makel und lebe für deine Fehler.

Oberflächliche Schönheit nutzt sich ab,

komm näher und zeig mir die Kratzer auf deiner Haut,

zeig mir, dass du menschlich bist.

 


 

»Ich denke, ich frage ihn einfach nochmal. Es kann nicht sein, dass ich nur 14 Punkte habe, weil ich mich angeblich bei der Polynomdivison vertan habe, es ging auf!« Ich nickte müde und kickte eine Coladose aus dem Weg, die vermutlich irgendein dummer Neuntklässler auf den Boden geworfen hatte. Gewissenlose kleine Mistviecher.

»Bist du enttäuscht, dass du nur elf hast?« Ich musste grinsen, obwohl ich eben noch beim Augenverdrehen gewesen war.

»Natürlich nicht, elf Punkte sind super! Wenn ich das halte bin ich total zufrieden, es ist immerhin eine glatte Zwei! Und es kann ja nicht jeder so eine Mathegenie sein wie du.« Ich rempelte ihn mit meiner Schulter scherzhaft an, worauf hin er zurück schubste und wir wohl beide ein wenig torkelig aussahen.

»Aber ehrlich, du stehst doch sowieso 15, oder?« Vermutlich würde er sogar noch eins stehen, wenn er sich eine fünf einhandelte, der Glückliche.

»Aber es geht um’s Prinzip!« Ich seufzte und beschleunigte meinen Schritt, als ich hinter der Kurve den Bus auftauchen sah. An der Haltestelle umarmte ich ihn kurz, wünschte ihm ein schönes Wochenende und winkte ihm durch die Scheibe zu, als er sich auf sein Fahrrad schwang und losfuhr.

 


 

Freitag, 22. November – 19:42

 

Lea: Können wir uns morgen doch noch mal treffen? Ich versteh das mit den Flächen in den Kurven nicht, dieses… Dingens. Weißt schon.

Alessandro: Ich weiß. :D

Lea: Angeber. Ja, du bist perfekt, kann ich nachmittags vorbei kommen?

Alessandro: Klar, ich muss eh zu Hause bleiben, Geschäftsessen von meinem Vater… Das heißt, du musst irgendwann abends abhauen, wenn die ersten Gäste eintrudeln.

Lea: Ganz bestimmt, ich will diese seriösen Anzugmänner gaaar nicht kennen lernen.

Alessandro: Ich trag immerhin auch einen!

Lea: Aber dich kenne ich schon. Freut mich trotzdem jedes Mal wieder, dich so schick zu sehen. :D

Alessandro: Wie immer? ^^ Sorry, ich muss off gehen, bis morgen dann.

Lea: Tschüüß! (:

 


 

Ich klingelte und zupfte nochmal mein Kleid zurecht, ehe sich die Tür öffnete und die Mutter von Al öffnete – ungewöhnlich, meistens war es Nelly, die Haushälterin. Vielleicht hatte die Dame des Hauses mit verfrühten Gästen gerechnet, zumindest sah sie recht erleichtert aus, als sie sich durch die seidigen, sorgsam gedrehten Locken strich.

»Guten Tag, Frau Bayermann«, flötete ich mit meinem schönsten Lächeln. Als Mutter und Vater waren die Einzigen unter den Eltern meiner Freunde, die mir noch kein Du angeboten hatten, und ich hütete mich, sie zu fragen. Dafür amüsierte es mich jedes Mal, wenn ich den Namen aussprach, dass jemand, der Bayermann hieß, einen Sohn namens Alessandro aufzog. Ich hatte ihn mal gefragt, ob er vielleicht in der Toskana auf die Welt gekommen war und seine Mutter ihn in einem Anflug von romantischem Kitsch so getauft hatte, aber er hatte auf irgendeinen Großonkel verwiesen, der bestimmt etwas Interessantes wie Einkaufstüten produzierte und damit reich geworden war.

»Hallo, Lea«, begrüßte Frau Bayermann mich mit ihrer Bronzeglockenstimme und winkte mich herein. Während ich mit ihr über höfliche Oberflächlichkeiten sprach schob ich meine Schuhe schnell in die Ecke des Schuhregals, wo sie sich, wenn sie Emotionen hätten, sicher am wohlsten fühlten. Meine durchgelaufenen Treter sahen zwischen den geschmierten Slipper, eleganten Stiefeln und Markenturnschuhen aus wie zwei Obdachlose bei einer gepflegten Weinkennerparty.

»Ich geh dann zu Al…lessandro.« Frau Bayermann mochte keine sinnlosen Spitznamen (Spitznamen, die dazu dienten, einen außergewöhnlich langen Namen abzukürzen, hatten keinen Sinn).

Ich tappte über die flauschigen Teppich, nahm auf der großen Freitreppe zwei Stufen auf einmal und brauste ins Als Zimmer. Dieses Haus war zu groß für mich.

»Hallo, Wirbelwind!« Al grinste mir über seinen Laptop zu

»Hallo, reicher Schnösel!« Ich lehnte meine Tasche gegen die Schranktür, ließ mich neben ihn auf sein Bett fallen und schielte auf den Bildschirm. Al stöberte manchmal mit mir in seltsamen Foren herum – wir hatten einen Account auf einer Magersuchtseite, wo wir ab und zu Bilder von Schokoladenfondue oder Ähnlichem posteten, dann die für Frauen in den Wechseljahren und eine rosarote Mädchenpage, deren Zielgruppe vermutlich 12-Jährige waren. Das Profil auf der Erotikseite hatte ich von Zuhause aus gelöscht, Al wunderte sich vermutlich immer noch darüber, wie wir als unter 18 entlarvt wurden. Damals, inzwischen war er volljährig.

Heute war er allerdings am Shoppen. »Meine alte Skijacke fällt auseinander«, erklärte er, ohne auf meinen Kommentar einzugehen. Und ich glaubte es ihm ausnahmsweise, sein Sportzeug hielt, egal, wie viel er dafür bezahlt hatte, nie besonders lange.

»Können wir ihre Fläche mit einer Funktionsgleichung berechnen?« Ich warf ihm ein Kissen seitlich gegen den Kopf, was ihn nicht im Geringsten störte. »Hey, du! Ich bin hier!«

Al klappte seinen Laptop zu. »Bin schon fertig, um Himmels Willen.« Ich angelte im Sitzen nach meiner Tasche, breitete einen Haufen Blätter vor mir aus und versuchte, nicht an den Variablen zu ersticken.

 

»Warte, ich brauch kurz meinen Hefter.« Zwanzig Minuten später konnte nicht mal mehr Al meinen wirren Notizen folgen, also holte er seine ordentliche Mitschrift und verglich sie kurz mit meiner. »Du hast dich hier verschrieben, da kommt ein Minus hin. Klar, dass der Rest auch nicht hinhaut. Und ehe ich es vergessen, schau mal auf die nächste Seite: wenn du die Wurzel ziehst kriegst du zwei Lösungen, eine positive und eine negative. Wenn du es quadrierst kommt ja eh dasselbe raus.« Ich betrachtete meine Aufzeichnungen.

»Stimmt, danke.« Ich besserte die Stellen und fuhr mit meinem Finger über dir dritte Ableitung. War das eine vier oder…? »Kann ich mal deins haben? Ich blick hier nicht durch.« Al schob mir seinen Hefter wieder rüber und ich vertiefte mich in die Rechnung, während er seine Jacke bestellte.

»Du hast da ›parallel‹ falsch geschrieben. Das Doppel-L ist in der Mitte.« Ich tippte auf eine Anmerkung am Rand. »Und es ist eigentlich ›konkav‹ und nicht ›komkav‹.« Al warf mir einen ziemlich angepissten Blick zu.

»Du wolltest Mathe lernen, nicht ich deutsch. Ist in solchen Fächern doch eh nicht so wichtig, ich hab mich halt auf die richtige Aufgabe konzentriert. Die ist immerhin nicht falsch!« Ich hatte anfangs einwerfen wollen, dass Herr Weidemann sehr wohl penibel auf die Rechtschreibung achtete, aber stattdessen rümpfte ich jetzt verärgert die Nase und versetzte sarkastisch:

»Ach Gott, tut mir leid! Ich versteh es eben nicht so schnell wie du! Ich hab dich doch nicht drauf hingewiesen, um dich schlecht zu machen!«

»So? Tust du aber!« Al pfefferte den Laptop auf sein Kissen und richtete sich auf. »Na, noch irgendwas, was es an mir auszusetzen gibt? Irgendwelche monumentalen Fehler? Wofür bin ich denn zu schlecht, was kann ich nicht?«

»Das… aber ich wollte -«

»Genau! Red dich bloß raus! Bist du denn besser? Du wärst in Mathe schon verloren, und überhaupt, du bist stur wie ein Esel! Du -«

»Stopp! Hör auf! Ich will nicht, dass du -«

»Hau doch ab, wenn’s hier zu schlecht für dich ist!« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und wischte sie trotzig weg. Dennoch wurde mir fast übel. Wegen zwei Rechtschreibfehlern? Wegen zwei Buchstaben fuhr Al mich so an?

Ich klaubte mein Zeug zusammen und steuerte auf die Tür zu, wo ich mich noch einmal zu ihm umdrehte. »Was ist eigentlich dein Problem?«, fragte ich mit wackeliger Stimme.

»Mein Problem?«

»Ja, deins. Darfst du keine Fehler haben?«

»Das ist Quatsch, jeder hat doch Fehler!«

»Welchen?« Al öffnete den Mund, verharrte aber plötzlich in der Bewegung. Ich konnte förmlich sehen, wie seine Gedanken rasten, als seine sonst so glatte Stirn sich furchte und seine Augen irritiert ins Leere starrten.

Und plötzlich brach er in sich zusammen wie eine Marionette, deren Fäden sich verheddert hatten. Er ließ sich auf den Teppich fallen, fuhr mit den Fingern durch die Fransen am Rand, als wolle er sie zerreißen und gab eine Art Wimmern von sich. Ich ließ entsetzt meine Sachen fallen und hockte mich neben ihn.

»Al… Bitte nicht… Das war nicht so gemeint…« Als mir bewusst wurde, dass es nur leere Worte waren legte ich hilflos meine Hand zwischen seine Schulterblätter und strich mit meinem Daumen über seinen Rücken, als die ersten Tränen auf den Boden tropften.

»Und… wenn ich Fehler habe…? Wenn… mein Vater…« Ich wartete stumm, bis er weiter redete und streichelte weiter seinen Rücken. »Wie soll ich ihm sagen, dass ich allen Ernstes eine Leserechtschreibschwäche habe? Er führt einen Verlag, verdammt noch mal!«

Eigentlich überraschte es mich nicht mal so sehr. Ich hatte in Als Texten schon die kuriosesten Schreibweisen entdeckt, und oft das Gefühl gehabt, dass er sich eher zum Lesen zwang als Spaß daran zu haben. Und es war unübersehbar, wie klein der sonst so stolze Junge wurde, wenn jemand zum Vorlesen gesucht wurde. Wie fanatisch er für Deutscharbeiten lernte, obwohl er es immer abstritt, so viel Zeit für irgendein Fach aufzuwenden.

»Al… Du musst nicht perfekt sein. Nicht für dich, nicht für mich, und schon gar nicht für deinen Vater oder sonst irgendjemand. Das ist menschlich. Und Perfektion… das sind Roboter. Erfundene Maschinen aus totem Metall. Könntest du sowas lieben? Makellose Wesen ohne Ecken und Kanten? Du…« Ich stockte. »Ehrlich, du bist wunderbar, so, wie du bist. Mit Fehlern.«

 

Und irgendwann lagen wir uns in den Armen und heulten. Ich weiß nicht mehr, wie dir dazu kamen und ob es Wehmuts- oder Freudentränen waren. Nur, dass wir schließlich mit verquollenen Augen auf dem Boden saßen, gegeneinander gelehnt, als Frau Bayermann die Tür aufriss, einen Anzug in der Hand, mit dem ich bestimmt meinen Führerschein bezahlen könnte. Man sah ihr so eindeutig an, dass sie nicht wusste, wie sie den hübschen Alessandro in kurzer Zeit hübsch genug für ein Geschäftsessen bekommen sollte, dass wir beide laut loslachten. Frau Bayermann war in dem Moment vermutlich endgültig davon überzeugt, dass ich einen absolut schlechten Einfluss auf ihren Sohn hatte, aber Al und ich waren jetzt wohl in einer Phase, die Erwachsene als »hormongesteuert, es sind halt Teenager« bezeichnen, zumindest lachten wir noch drei Minuten weiter, als seine Mutter den Raum schon längst verlassen hatte – ohne hübschen Sohn für das Geschäftessen.

»Wir… müssen aufhören!«, japste ich. »Mein Zwerchfell tut weh!« Al wurde von einem neuen Anfall geschüttelt und ich legte mich auf den Rücken und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

»Weißt du was? Ich hab sogar eine Narbe auf der Nase. Als ich sie mir mal gebrochen hab, da ist sie zwar wieder ganz gerade gewachsen, aber… schau.« Er beugte sich über mich und ich konnte über seinem linken Nasenflügel wirklich einen schmalen Streifen sehen.

»Und ich dachte immer, deine Nase wäre perfekt. Du warst doch so stolz drauf…« Ich schubste ihn grinsend weg. »Von irgendwelchen Muttermalen auf deinem Hintern will ich aber nichts wissen!«

»Nein? Sicher? Ich -«

»Lalala, ich hör dir gar nicht zu, ich stopf dir jetzt ein Kissen in den Mund und verbrenne meinen Mathehefter in einem altehrwürdigen Ritual…« Vielleicht nicht hormongesteuert sondern einfach zu gut gelaunt. Zumindest traf mich kurz darauf ein Kissen am Hinterkopf.

»Wehe dir!«, kicherte ich unheilvoll und warf mit voller Wucht zurück. Nur dass ich im Gegensatz zu Al nicht einen Haufen Ballsportarten ausprobiert hatte und bei der folgenden Schlacht klar im Nachteil war.

»Halt! Ich ergebe mich! Du hast gewonnen!« Ich rollte mich am Kopfende seines Bettes zusammen, hinter dem ich gerade Deckung gesucht hat und vergrub den Kopf unter der Decke.

»Macht nichts.« Al ließ sich neben mich auf das Bett fallen, zog die Decke weg und wuschelte mir durch die Haare, woraufhin ich mich empört aufsetzte. Aber ehe ich etwas erwidern konnte grinste er mich an und legte eine Hand auf meinen Rücken, so wie ich es vorhin getan hatte.

»Man kann ja nicht perfekt sein.«

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Kommentare: 2
  • #1

    Lynn (Mittwoch, 23 Oktober 2013 12:12)

    Me Gusta sehr!
    Zu mehr bin ich grad nicht in der Lage, nutze nur die zeit beim warten (was nicht bedeutet, dass ich mir deine Geschichten sonst nicht durchlesen würde^^)

    . xo xo Lynn

  • #2

    Märchenkind (Mittwoch, 23 Oktober 2013 14:53)

    Viel Merci!

    Jaja, red dich nur raus, du böses Lynn. ;D Ich bin eh viel zu gut gelaunt, ich hab grad eine prima Matheklausur geschrieben (ich denke, zumindest, das sie gut war...).